Im Mai 2023 veröffentlichte ich einen Tweet auf Twitter Beitrag auf X. Dort zeigte und kommentierte ich Statistiken, dass eine große Anzahl vorwiegend indischer Studenten in einer meiner Vorlesungen plagiierte. Einigen Personen gefiel dieser Beitrag nicht und sie beschwerten sich. Zugegebener Maßen ist es schwierig, sich auf X in kurzen Beiträgen zu einem komplexen Thema wie Plagiaten, Fachkräften und Einwanderung zu äußern. Deshalb entschloss ich mich, den Beitrag auf X zu löschen, und den folgenden Blogbeitrag zu schreiben. Kritiker sind herzlich eingeladen, meinen Beitrag sachlich zu kommentieren.

Der Fachkräftemangel

Deutschland mangelt es an Fachkräften, das ist nicht neu. Schon Anfang der 2000er Jahre — ich leistete gerade Zivildienst und freute mich auf den baldigen Beginn meines Studiums — wurde hitzig diskutiert, wie Deutschland mit dem demographischen Wandel und dem daraus resultierenden Fachkräftemangel umgehen solle. Der damalige Bundeskanzler Gerhardt Schröder (SPD) befürwortete “Green-Cards” für indische IT Spezialisten (SWR 2000). Jürgen Rüttgers, “Zukunftsminister” der CDU, forderte provokativ “Mehr Kinder statt Inder“. Die Forderung war heftig umstritten. Nicht wenige warfen Rütgers Rassismus vor. Andere kritisierten, es dauerte doch viel zu lange bis neue Kinder zu Fachkräften würden (Video, Minute 18:10).

Seit dem Jahr 2000 hat sich wenig getan. Die Kinder, die Anfang der 2000er Jahren geboren wurden, sind heute meine Studenten und in wenigen Jahren die neuen Fachkräfte, die Deutschland so dringend benötigt. Oder, wenn die Kinder von damals eine berufliche Ausbildung gewählt haben, dann sind sie heute vielleicht bereits die neuen Fachkräfte. Es sind aber viel zu wenig, heute wie damals. Daran wird sich in naher Zukunft auch wenig ändern. Kinder zu zeugen, großzuziehen und zu Fachkräften auszubilden scheint jedenfalls nicht mit hoher Priorität von der Bundesregierung unterstützt zu werden. Im Koalitionsvertrag der Ampel kommt das Wort “Geburtenrate” nicht vor. Und wenn aus Versprechen wie “Wir werden das Elterngeld vereinfachen, letztlich eine Streichung des Elterngeldes für Gutverdiener resultiert, dann ist das nicht mein Verständnis von “vereinfachen”. Beim Thema Chancengleichheit und “Bildung für alle” tut sich auch kaum etwas. Personalmangel bei Kindergärten, desolate Zustände an Schulen, und zunehmend an Universitäten, sowie Kürzungen bei Bildung und Forschung tun ihr Übriges.

Die Einwanderung indischer Fachkräfte hat das Fachkräfteproblem bisher auch nicht lösen können. Die Einwanderung steigt zwar stetig, aber auf niedrigem Niveau (IWD 2022). So bleibt der Fachkräftemangel, auch und insbesondere im IT Bereich, größer denn je.

Nettozuwanderung von indischen Staatsangehörigen nach Deutschland sowie Anteil an der gesamten Nettozuwanderung in Prozent

Immerhin steht der Fachkräftemangel, und eine potenzielle Lösung mittels qualifizierter Zuwanderung, auf der Agenda der Bundesregierung. Erst kürzlich verkündete Kanzler Olaf Scholz (SPD), dass er die “Zuwanderung indischer IT-Fachkräfte deutlich ausbauen” wolle genauso wie die Zuwanderung aus Afrika. Von anderen Stellen hört man ebenfalls viel Positives über indische Fachkräfte. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. spricht von “Zuwanderung aus Indien: Ein großer Erfolg“. Der Mediendienst Integration spricht von einem “riesen Erfolg“. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) spricht angesichts zunehmender indischer Fachkräfte in Deutschland von einer “begrüßenswerte[n] Entwicklung“.

Ich lese solche Nachrichten nun seit über 20 Jahren immer wieder, und immer wieder habe ich ein komisches Gefühl dabei. Zum einen bin ich grundsätzlich skeptisch, wenn Politik und Industrie einhellig etwas bejubeln und die Medien dies wiedergeben ohne das auch nur ein Funken Kritik geäußert wird (ich würde mich sehr über Gegenbeispiele in den Kommentaren freuen, die zeigen, dass Journalisten ausgewogen, also sowohl kritisch als auch positiv, über Zuwanderung indischer IT Fachkräfte schreiben). Zum anderen deckt sich dieser absolute positive Eindruck leider weder mit meinen Erfahrungen noch mit objektiven Rankings und Studien wie der PISA Studie.

Ganz besonders kritisch sehe ich es, wenn ich lese wie sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) äußert:

wir können uns die Arroganz, dass wir so tun, als seien nur Menschen in Deutschland gut ausgebildet, nicht leisten. Im Gegenteil! Wenn Sie mal an Indien denken und wir zum Beispiel IT-Fachkräfte für Deutschland gewinnen wollen, dann können wir uns Hochnäsigkeit nicht leisten. […] Es kommen Menschen und deshalb sind die herzlich willkommen in Deutschland.

Hubertus Heil (SPD), Deutschlandfunk 29. März 2023
https://www.deutschlandfunk.de/arbeitsminister-hubertus-heil-job-fachkraefte-einwanderungsgesetzt-100.html

Faktisch gesehen hat Herr Heil natürlich recht, zumindest im ersten Teil seiner Aussage. Denn arrogant oder hochnäsig sollte sich niemand verhalten, selbst wenn das Ausbildungssystem in seinem Land das beste der Welt wäre, was es in Deutschland nicht ist. Und natürlich sind nicht nur Menschen in Deutschland gut ausgebildet. Wenn man sich die letzte PISA Studie anschaut, gibt es sogar relativ viele Länder in denen die Schüler besser gebildet sind als in Deutschland (wenngleich nicht in Indien, dazu später mehr). Aber der zweite Teil seiner Aussage — “Es kommen Menschen und deshalb sind die herzlich willkommen in Deutschland” — ist natürlich einfach nur Quatsch, zumindest aus dem Mund eines SPD Politikers und Ministers der Ampelkoalition. Die SPD und die Ampelregierung heißen keinen einzigen Menschen in Deutschland willkommen nur weil er ein Mensch ist. Wenn dem so wäre hätte die Bundesregierung, unter Führung der SPD, Visa und Grenzkontrollen abgeschafft, würde nicht über “Abschiebung im großen Stil” sprechen, und nicht Flüchtlinge, die bekanntlich auch Menschen sind, mit Bezahlkarten ‘willkommen heißen’.

Doch auch der erste Teil von Heils Aussage erzeugt ein falsches Bild. Die Aussage vermittelt den Eindruck, als sei es doch ganz egal ob eine deutsche oder indische Fachkraft in Deutschland arbeitet. Den gleichen Eindruck bekomme ich bei vielen anderen Medienberichten. Bildung ist Bildung, Fachkraft ist Fachkraft, und Mensch ist Mensch. Ich halte solche Aussagen für fatal und schlicht und ergreifend falsch. Meiner Ansicht nach ist das deutsche Bildungssystem (noch) eindeutig besser als das indische Bildungssystem, und deutsche Fachkräfte sind, im Durchschnitt, weit besser ausgebildet als indische Fachkräfte. Das heißt nicht, dass es keine guten indischen Fachkräfte gäbe, oder ich kategorisch gegen die Einwanderung von indischen Fachkräften wäre. Aber die Politik und Wirtschaft, und die Bürger, sollten eine realistische Vorstellung haben inwieweit indische und deutsche Ausbildung und Fachkräfte vergleichbar sind.

Im Übrigen ist die gleiche Attitude, die Politik und Wirtschaft zu Tage legen, zunehmend an deutschen und europäischen Universitäten zu beobachten. Während durch den demographischen Wandel die Anzahl einheimischer Studenten zurückgeht — bisher nur leicht, in Zukunft aber mehr — nimmt die Zahl indischer Studenten in Deutschland und Europa zu. Es werden also nicht nur Fachkräfte nach Deutschland importiert, sondern auch Studenten. Frei nach dem Motto ‘Wenn wir nicht genügend einheimische Studenten haben, um unsere Studienplätze zu füllen, dann holen wir uns die Studenten doch aus Indien (oder China oder anderen Ländern) — Bildung ist Bildung, Student ist Student, und Mensch ist Mensch’.

Ich schildere im Folgenden, warum ich der Auffassung bin, dass das deutsche Bildungssystem besser als das indische ist, und warum – im Durchschnitt – Fachkraft nicht gleich Fachkraft bzw. Student nicht gleich Student ist. Und warum deshalb eine besondere Sorgfalt nötig ist wenn es darum geht indische Studenten oder Fachkräfte nach Deutschland zu holen.

Mein Hintergrund

Um diesen Blogpost besser einordnen zu können, mag es für den Leser wichtig sein, mehr über meinen eigenen Hintergrund zu erfahren. Ich bin seit vier Jahren Professor für Informatik an der Universität Siegen. Zuvor war ich einige Jahre Assistant Professor am Trinity College Dublin in Irland. Seit 2018 habe ich einige Tausend Studenten im Fach “Machine Learning” unterrichtet, sowohl am Trinity College Dublin, als auch an der Universität Siegen. Überwiegend im Rahmen meiner Vorlesung “Introduction to Machine Learning”, aber auch im Rahmen anderer Vorlesungen, Seminaren, Ringvorlesungen, und der Betreuung von Abschlussarbeiten. Ich habe umfangreiche Erfahrungen im Umgang mit Studenten, Wissenschaftlern, Programmierern und anderen Personen aus allen möglichen Nationen, auch und insbesondere im asiatischen Raum, einschließlich Indien. Als ich selbst noch Student war, lebte in ein Semester in einer chinesischen Gastfamilie in Australien. Ich machte einen zweiten Masterabschluss in England, und ca. 80% meiner Kommilitonen waren Ausländer aus allen möglichen Ländern. Ich arbeitete als IT-Projektmanager in München und einige Jahre nebenberuflich als Selbstständiger IT Consultant, oft mit internationalen Kollegen und Projektpartnern. Ich lebte und forschte in den USA und Japan jeweils für ca. 1 Jahr, lehrte vor dem Bürgerkrieg an einer Universität in Syrien und als Wissenschaftler bin ich permanent im Austausch mit internationalen Kollegen. Ich habe Studentenaustauschprogramme mit Japan aufgebaut und Erasmuspartnerschaften, und ich bin im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für das IFI Programm. Wenn es die Zeit erlaubt, erkunde ich, oft als Backpacker, ferne Länder wie Südindien, Tansania, oder Argentinien. Als Professor habe ich viele Tausend Studenten unterrichtet, weit über 1.000 davon aus Indien. Ich begutachtete Unterlagen vieler hundert indischer Bewerber; führte persönliche Interviews mit ca. hundert Bewerbern durch; viele meiner Freunde und Kollegen stammen ebenfalls aus allen möglichen Ländern. Meine Ehefrau ist Chinesin und in wenigen Wochen werde ich Vater eines Kindes sein, das zukünftig bei Statistiken über Bildung, Fachkräfte, Arbeit(slosikgkeit), und Kriminalität in der Kategorie “Deutscher mit Migrationshintergrund” auftaucht.

Doch zurück zum Thema…

PISA Studie

Die PISA Studie ist in aller Munde wenn es um die Qualität der Schulen in Deutschland geht. Wenn es um die Einwanderung von Fachkräften geht, dann scheint PISA keine Rolle zu spielen. Zumindest lese ich von PISA immer nur im Zusammenhang mit dem heimischen Bildungssystem, nie im Zusammenhang mit Einwanderung (Gegenbeispiele sind herzlich willkommen in den Kommentaren). Das ist verwunderlich, denn die PISA Ergebnisse können helfen die Bildungssysteme von Deutschland und Indien zu vergleichen.

Schon 2016 glänzte Deutschland nicht gerade bei der PISA Studie, und Hubertus Heil forderte damals noch “Deutschlands Bildungssystem muss eines der besten der Welt sein”, und es müsse mehr Geld in Bildung investiert werden. 2022/23 hat Deutschland bei PISA noch schlechter abgeschnitten als 2016, und wieder ist der Aufschrei in der Politik, den Medien und der Bevölkerung groß.

Doch was it mit Indien? Indien hat zuletzt im Jahr 2009 an PISA teilgenommen und erzielte einen blamablen vorletzten Platz. Seitdem hat Indien nicht mehr an PISA teilgenommen. Ich wage zu behaupten, dass sich das indische Schulsystem seit 2009 nicht so revolutioniert hat, dass es heute bei PISA auch nur annährend ähnlich gut abschneiden würde wie das deutsche Schulsystem. Und selbst wenn… die Inder die heute nach Deutschland als Studenten oder junge Fachkräfte kommen sind genau die, die um 2009 in Indien das Schulsystem besuchten.

Sofern man also der PISA-Studie vertraut, muss man schlussfolgern, dass indische Schüler, im Durchschnitt, weit schlechter gebildet sind als deutsche Schüler. Und man muss folgern, dass die heutigen indischen Studenten und Fachkräfte eine schlechtere Schulbildung genossen haben als vergleichbare deutsche Studenten und Fachkräfte. Entsprechend gibt es, basierend auf PISA, wenig Grund anzunehmen, dass die heutigen indischen Studenten und Fachkräfte, im Durchschnitt, ähnlich gut wie deutsche Studenten und Fachkräfte seien. Es sei denn, man würde behaupten, Schulbildung spiele keine Rolle für den späteren Erfolg an Universitäten und in Berufsausbildungen.

Niveau indischer und deutscher Universitäten (Rankings)

Die internationalen Rankings von Universitäten legen eine ganz ähnliche Schlussfolgerung nahe wie die PISA Ergebnisse.

Deutschland hat rund 100 Universitäten und 200 Fachhochschulen (DAAD 2022). In weltweiten Rankings schneiden deutsche Universitäten regelmäßig gut bis sehr gut ab. Acht deutsche Universitäten finden sich in den Top 100 der weltweit besten Universitäten (THE 2023). Selbst eine kleine und eher unbekannte Universität wie die Universität Siegen ist auf einem passablen Platz 601-800. Wenn ich es richtig sehe, sind rund 50 der 100 deutschen Universitäten in den Top1200 der Welt.

Indien hingegen hat mehr als 1.000 Universitäten (PIB 2021). Dazu kommen noch 40.000 Colleges, die scheinbar ebenfalls Bachelorabschlüsse vergeben (sicher bin ich mir da nicht; wer es genauer weiß, darf gerne einen Kommentar hinterlassen). Von den 1.000 indischen Universitäten sind nur 78 überhaupt im THE Ranking aufgeführt. Die beste indische Universität landet auf Platz 201-250 (die beste deutsche Universität auf Platz 30). Die zweitbeste(n) indischen Universitäten erzielen nur noch Platz 501-600 (die zweitbeste deutsche Universität erzielt Platz 38). Anders gesagt, Indiens zweitbeste Universität ist kaum besser als die Universität Siegen, die im Deutschland-Ranking im hinteren Mittelfeld liegt.

Die zitierten Rankings basieren auf dem World University Ranking der Times Higher Education (THE). Bei einigen anderen Rankinginitiativen wie QS schneiden indische Universitäten etwas besser ab. Sie liegen aber immer noch weit hinter deutschen Universitäten zurück.

Diese Zahlen widersprechen also ebenfalls der Annahme, dass Ausbildung und Forschung an indischen und deutschen Universitäten ein vergleichbares Niveau hätten.

Indische Studenten im Auswahlverfahren: 10-20% Annahmequote

Sowohl am Trinity College Dublin, als auch an der Universität Siegen, durchlaufen Nicht-EU Bewerber für informatiknahe Masterstudiengänge ein Auswahlverfahren. Mit dem Verfahren wird festgestellt ob die ausländischen Bewerber wirklich die notwendige Qualifikation haben, um an einem Masterstudiengang in Deutschland bzw. Irland teilzunehmen. Am Trinity College kommen fast alle Nicht-EU Studenten, die Informatik studieren, aus Indien und ein paar aus China. An der Universität Siegen kommt der Großteil der informatiknahen Nicht-EU Studenten ebenfalls aus Indien. Es gibt außerdem noch einige Studenten aus Pakistan und anderen Ländern in Asien (A) wie Bangladesch, dem Mittleren Osten (MO), Nordafrika (A), und vereinzelt aus Amerika (A) oder anderen Ländern (A). So oder so kommt die große Mehrheit aus Indien und ich sprechen im Folgenden der Einfachheit halber meist von indischen Studenten. Meine Beobachtungen gelten allerdings weitestgehend auch für Studenten aus Pakistan, dem mittleren Osten und Nordafrika sowie die meisten anderen umliegenden Länder. Die Bewerber kommen von allen möglichen Universitäten. Einige kommen von den besten Universitäten ihres Landes, andere von unbekannten “Provinzuniversitäten”.

Die Auswahlverfahren am Trinity College und der Universität Siegen sind recht ähnlich. Zuerst werden die Bewerbungsunterlagen gesichtet. Hierzu gehören vor allem die Zeugnisse und Transscripts sowie die Ergebnisse im Englischsprachtest (in der Regel IELTS oder TOEFL). Die Bewerber werden außerdem zu einem Online-Test eingeladen. Der Onlinetest ist automatisiert, und Bewerber müssen unter Zeitdruck fachliche Fragen beantworten (Multiple Choice), Mathematikaufgaben lösen und/oder etwas programmieren. Basierend auf den Ergebnissen erhalten die Studenten am Trinity College Dublin ein Angebot für einen Studienplatz. In Siegen werden Bewerber mit akzeptablen Ergebnissen zusätzlich noch zu einem persönlichen Video-Interview eingeladen. Im Anschluss an das Interview wird entschieden, welchen Bewerbern ein Angebot für einen Studienplatz gemacht wird. Die fachlichen Komponenten des Auswahlverfahrens werden von mehreren Professoren durchgeführt (ich bin einer davon).

Das Verfahren ist weder am Trinity College noch der Universität Siegen kompetitiv. Es ist nicht so, dass nur die besten x% der Bewerber genommen würden. Jeder Bewerber, der dem Grunde nach qualifiziert ist, also die Tests und Interviews halbwegs erfolgreich durchläuft, erhält ein Angebot. In den Tests und Interviews werden einfachste Dinge abgefragt, die jeder Student im Bachelorstudium gelernt haben sollte. Einige der mathematischen Aufgaben, zum Beispiel bzgl. Vektorrechnung, sind eher auf Abitur- als auf Universitätsniveau. Und dennoch sind viele Bewerber einfach desaströs schlecht. Auch die Englischkenntnisse vieler Bewerber sind katastrophal.

Von den ausländischen Bewerbern in Siegen werden 65% direkt nach Sichtung der Unterlagen und des Onlinetests aussortiert (Stichprobe im Jahr 2023; n=717). Das restliche Drittel wird zu einem Interview eingeladen. Von diesem Drittel erscheinen gut 30% nicht zum Interview, teils entschuldigt, teils unentschuldigt. Von den Bewerbern, die am Interview teilnehmen, erhalten 48% ein Angebot (basierend auf allen interviewten Bewerbern 2023; n=126).

Insgesamt erhält grob jeder 5. bis 10. Bewerber ein Angebot von der Universität Siegen (es hängt ein bisschen von der Betrachtungsweise ab; einige Bewerbungsunterlagen sind unvollständig oder so schlecht, dass Studenten nicht wirklich als ernsthafte Bewerber gezählt werden sollten). Am Trinity College Dublin waren die Zahlen in etwa vergleichbar. Nicht jeder Student, der ein Angebot erhält, nimmt dieses auch an (Zahlen kann ich hier leider nicht nennen, für die folgende Betrachtung ist dies aber auch relativ egal).

Zu bedenken ist, dass es für deutsche Bewerber für einen informatiknahen Studiengang an der Universität Siegen keine besonderen Zulassungsvoraussetzungen gibt, weder für den Bachelor noch den Masterstudiengang. Am Trinity College Dublin gibt es für Bachelorstudenten ein Verfahren, das ähnlich eines Numerus Clausus ist. Wie hier das Verhältnis von Bewerbern zu Zulassungen ist, ist mir unbekannt, ebenso welche Zulassungsvoraussetzungen für Masterstudenten gelten. Festzuhalten bleibt, dass es sich bei den indischen Studenten die eine Zulassung erhalten — sowohl in Siegen als auch am Trinity College — um die besten ca. 10-20% der Bewerber handelt. Im Vergleich sind die deutschen Studenten in der Regel junge Menschen aus der Region Siegen-Wittgenstein; sie bilden also recht gut den “deutschen Durchschnitt” ab.

Leistungen in meiner Maschine-Learning Vorlesung: Insgesamt vergleichbar

Am Trinity College Dublin gab es keine nennenswerten Unterschiede bei den Noten meiner Maschine Learning Vorlesung zwischen irischen und indischen (und chinesischen) Studenten. Sowohl irische als auch indische Masterstudenten erzielten im Durchschnitt 65 Punkte (von 100), chinesische Studenten 62 Punkte. Masterstudenten — irisch und indisch — waren besser (65 Punkte) als irische Bachelorstudenten (58 Punkte). Indische Bachelorstudenten gab es keine.

Am Trinity College nahmen 171 Studenten meiner Machine Learning Vorlesung an einer Umfrage teil (Tabelle links). Davon waren 33% irisch, 58% indisch und 8% chinesisch. Weitere Nationalitäten sind in der Analyse ignoriert, da ihr Anteil jeweils unter 2% liegt. Die Nationalität wurde von Studenten während einer Onlinebefragung angegeben. In dem gesamten Modul, das aus mehreren Einzelnoten bestand für Hausaufgaben und Klausur, erzielten Bachelor Studenten 58 Punkte im Durchschnitt (Tabelle rechts), Master Studenten, egal welcher Nationalität, um die 65 Punkte. Im Allgemeinen gelten 62 Punkte als guter Durchschnitt. Alles über 70 Punkte ist sehr gut. Bachelorstudenten brauchen 40 Punkte zum Bestehen, Masterstudenten 50 Punkte.

An der Universität Siegen schneiden die deutschen Studenten ähnlich ab wie die irischen bzw. indischen Studenten am Trinity College Dublin (TCD). Die deutschen Bachelorstudenten erreichen 60 Punkte im Durchschnitt (TCD 58 Punkte) und die deutschen Masterstudenten 64 Punkte (TCD 65 Punkte). Diese Zahlen legt den Schluss nahe, dass deutsche Universitäten, oder zumindest die Uni Siegen, insgesamt sehr gute Studenten hat: Deutsche Studenten an einer kleinen Universität wie der Universität Siegen schneiden — zumindest in meiner Vorlesung — genauso gut ab wie die Studenten am Trinity College Dublin, einer der besten Universitäten Europas.

Anders sieht es bei den indischen Studenten in Siegen aus. Die indischen Masterstudenten kommen in Siegen auf lediglich 54 Punkte im Durchschnitt, also 10 Punkte weniger als die deutschen Masterstudenten bzw. Masterstudenten am Trinity College. Auf den ersten Blick sind das natürlich vernichtende Zahlen. Die indischen Studenten in Siegen — immerhin die 10-20% Besten der Bewerber — sind deutlich schlechter als die deutschen Studenten (und auch als ihre indischen Kollegen am Trinity College).

Auf der anderen Seite gibt es sehr viele Unsicherheitsfaktoren. Zu bedenken ist bei diesen Zahlen, dass relativ wenig deutsche Masterstudenten (16) meine Vorlesung an der Universität Siegen hören. Der Vergleich ist also recht ungenau. Außerdem sind nicht alle indischen Masterstudenten Informatikstudenten. Viele der indischen Studenten studieren Mechatronik oder andere technische Nicht-Informatik Fächer. Das schlechte Abschneiden der indischen Studenten muss also nicht zwangsweise mit einer schlechten Ausbildung in Indien zusammenhängen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Nicht-Informatiker einfach schlechter abschneiden als Informatiker beim Thema Maschinelles Lernen.

Die Nationalität habe ich anhand der Namen der Studenten geschätzt, zum Teil mit Bewerberlisten abgeglichen bei denen die Nationalität angegeben war, und mit Matrikelnummern verglichen (ausländische Studenten haben sehr dicht beieinander liegende Matrikelnummern da sie nahezu zeitgleich zugelassen werden). Im Gegensatz zum Trinity College stammen die Studenten nicht nahezu ausschließlich aus Indien (oder China) sondern kommen auch aus Pakistan. Einige Studenten kommen auch aus anderen Ländern im Mittleren Osten (MO), Asien (A), Arabien (A), Amerika (A) oder anderen Ländern (A), weshalb ich in der Tabelle “Indien / MO / A” schreibe. Der Einfachheit halber spreche ich nur von indischen Studenten, da ich auch keine größeren Unterschiede zwischen den Studenten aus “MO / A” feststellen konnte. Gerade bei den Bachelorstudenten ist es sehr wahrscheinlich, dass einige als “Indien / MO / A” klassifizierte Studenten tatsächlich Deutsche sind (mit Migrationshintergrund). Dies ändert aber nichts an den Schlussfolgerungen.

Auch ist unbekannt wie gut (bzw. schlecht) die indischen Bewerber sind im Vergleich zur Gesamtpopulation aller indischer Studenten. Und natürlich ist es für indische Studenten in Deutschland erst einmal schwierig Fuß zu fassen mit Wohnungssuche, Bürokratie etc. Dies mag sich negativ auf Studienleistungen auswirken, ohne dass das Ausbildungssystem in Indien schuld wäre. Umgekehrt haben viele der indischen Masterstudenten bereits einige Jahre Berufserfahrung, bevor sie das Masterstudium beginnen, einige auch im Bereich Maschinelles Lernen. Dies ist möglicherweise ein Vorteil beim Studium.

Leistungen (und Plagiate) im Kurs “Wissenschaftliches Arbeiten”: Erschütternd

Neben der Machine Learning Vorlesung lese ich, zusammen mit zwei Kollegen, eine Blockvorlesung zum Thema “Wissenschaftliches Arbeiten”. Der Kurs ist verpflichtend für alle Masterstudenten der Informatik. Er dauert drei Tage und behandelt alle möglichen Themen, einschließlich guter Wissenschaftlicher Praxis, der richtigen Zitierweise, und schreiben und präsentieren wissenschaftlicher Ergebnisse. Ein besonderer Fokus des Kurses liegt auf Plagiaten bzw. der Vermeidung von Plagiaten. Der Kurs schließt mit einer Semesterarbeit ab, für die ein “Bestanden” oder “Durchgefallen” vergeben wird, also keine Note.

Die Ergebnisse im Kurs “Wissenschaftliches Arbeiten” sind erschütternd. Während im Frühjahr 2023 alle deutschen Studenten den Kurs bestanden, fielen 59% der indischen Studenten durch. 32% weil sie plagiierten oder in unzulässiger Weise mit anderen Studenten zusammenarbeiteten, und 27%, weil sie unzureichende Leistungen erbrachten.

Wie auch meine anderen Vorlesungen, halte ich diesen Kurs auf Englisch. Die hohe Durchfallrate der indischen Studenten lag also nicht grundsätzlich an Sprachproblemen. Ich muss auch betonen, dass dieser Kurs wirklich nicht schwer zu bestehen ist. Damit ein Student durchfällt, muss er schon eine wirklich… wirklich… wirklich schwache Leistung abgeben. Ich entscheide über die Bewertung auch nicht allein. Die Semesterarbeit besteht aus drei Teilen. Jeder Teil wird von einem anderen Professor unabhängig bewertet. Nur wenn ein Student bei zwei der drei Teilen durchfällt, oder in einem Teil ein Plagiat festgestellt wird, fällt der Student durch.

Während die “normalen” Durchfaller schon erschütternd sind (27% der indischen Studenten), sind die Plagiate noch viel unbegreiflicher. Die 32% Plagiate sind keine “Chat-GPT Plagiate”, die schwer nachzuweisen wären oder wo man diskutieren könnte, ob es überhaupt Plagiate sind. Es handelt sich hier um einfachste Copy & Paste Plagiate. Hier ist ein Beispiel:

Der Student sollte eine kurze Zusammenfassung schreiben über einen Wissenschaftler. Er hat nahezu jeden seiner Sätze aus einer anderen Quelle kopiert. Ziel der Aufgabe war es u.a. zu prüfen ob Studenten in der Lage sind aus mehreren langen Texten die wichtigsten Informationen herauszufiltern und in eigenen Worten zusammen fassen können (ich erinnere mich, ich habe sowas schon in der 6. oder 7. Klasse gemacht). Dieser Student, und viele andere, war dazu leider nicht in der Lage.

Hier ist ein anderes Beispiel:

In diesem Fall haben die Studenten nicht aus externen Quellen kopiert, sondern ganz offensichtlich bei der Hausaufgabe zusammengearbeitet — obwohl dies explizit untersagt wurde. Die beiden Studenten haben nicht exakt identische Arbeiten abgegeben, sondern ihre Sätze leicht paraphrasiert. So leicht, dass es schon an eine Unverschämtheit grenzt, dass die Studenten ernsthaft annehmen, dies würde nicht auffallen.

Overall, the abstract is well-written and follows the four-question structure.

Student 1

Generally abstract is well written and fullfils the 4 question structure.

Student 2

Lediglich einige Füllwörter wie “Overall” wurden ausgetauscht gegen Synonyme wie “Generally”. Oder Zahlen wurden Mal ausgeschrieben (“Four”) und Mal als Ziffer (“4”) geschrieben. Interessanterweise ist ein Text in gutem Englisch verfasst (Student 1) während der andere Text voller Fehler ist (Student 2). Dies zieht sich durch die gesamte Hausaufgabe.

Wir — drei Professoren — erwähnen immer und immer wieder in dem Kurs, dass die Studenten niemals Copy & Paste machen sollen und es sich um Einzel- und keine Gruppenarbeiten handelt. Wir zeigen zahlreiche Beispiele. Wir sagen den Studenten, dass wir Docoloc nutzen und Copy & Paste Plagiate mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entdecken. Wir sagen den Studenten, dass wir bereits im Vorjahr viele Plagiatoren entdeckten. Und trotzdem, 32% plagiieren, auf die einfachste und plumpeste Art die man sich vorstellen kann. Und um es nochmal klarzumachen: Es handelt sich hier nicht um Bachelorstudenten im ersten Semester, die ihre erste Hausaufgabe schreiben. Es handelt sich um Masterstudenten, die bereits eine Bachelorarbeit geschrieben haben, viele haben Berufserfahrung, und die Studenten haben 3 Tage lang einen Blockkurs über Wissenschaftliches Arbeiten besucht. Für die deutschen Studenten waren die Aufgaben ein Kinderspiel (wie gesagt, einige der Aufgaben könnten in Deutschland schon Jugendliche in der 7. Klasse problemlos absolvieren; entsprechend sind 0% der deutschen Studenten durchgefallen). Aber viele indische Studenten hatten offensichtlich massive Schwierigkeiten.

Nun mag der ein oder andere die geringe Anzahl von Studenten kritisieren, auf denen meine Analyse basiert (15 Deutsche; 37 Inder). Doch ich kann leider versichern, dass die Ergebnisse des Kurses im Jahr 2023 kein Einzelfall oder ein Ausreißer sind. Es war ähnlich in den Jahren zuvor und vergleichbares passiert auch nicht nur in dem Kurs “Wissenschaftliches Arbeiten” an der Universität Siegen. Egal ob Offline-Klausur während Corona in meiner Machine Learning Vorlesung, Hausarbeiten in Seminaren oder Projektgruppen, egal ob in Siegen oder am Trinity College, bei einer größeren Menge indischer Studenten hat es bei mir quasi immer zumindest ein paar Studenten gegeben, die plagiieren bzw. betrügen, wenn sie die Möglichkeit dazu hatten. Ein “Highlight” war eine Offline-Klausur während Corona, bei der vier indische Studenten komplett identische Antworten abgaben (bei Freitexten). Unbegreiflich war für mich auch, dass mehrere indische Studenten im Kurs “Wissenschaftliches Arbeiten” Copy&Paste plagiierten, und entdeckt wurden, die Vorlesung erneut besuchten, und beim zweiten Versuch im nächsten Jahr allen Ernstes erneut Copy&Paste plagiierten (und entdeckt wurden). Wie kann das sein? Es ist mir wirklich unbegreifbar.

Im Vergleich dazu habe ich in meinen sieben Jahren als Professor nur ein einziges Mal einen europäischen Studenten beim Plagiieren erwischt (einen Iren), und das in einem minderschweren Fall. Keine Frage, natürlich schummeln einige (viele?) deutsche Studenten auch, selbst wenn ich noch keinen erwischt habe. Aber, zumindest nach meinen Erfahrungen, eben nicht auf so einem ‘Niveau’ wie es indische Studenten tun. Aber vielleicht habe ich ja einfach nur Pech mit meinen Studenten? Wenn irgendjemand es jemals erlebt hat, dass vier deutsche Masterstudenten so … dumm?… dreist?… verzweifelt?… waren und identische Freitextantworten bei einer Klausur eingereicht haben, oder 2-mal hintereinander bei einer Semesterarbeit zum Thema Wissenschaftliches Arbeiten Copy-and-Paste Plagiate eingereicht haben, bitte schreiben Sie es in die Kommentare.

Abschlussarbeiten: Weniger Selbstständigkeit

Noten in Vorlesungen sind eine Sache. Eine andere, meiner Meinung nach wichtigere, sind Noten in Abschlussarbeiten. Bachelor- und vor allem Masterarbeiten bieten Studenten oft das erste Mal eine echte Chance selbstständig zu arbeiten. Meiner Meinung nach trennt sich bei den Abschlussarbeiten die Spreu vom Weizen. Längst nicht jeder Student der gute Noten in Klausuren erzielt– für die es ja oft lediglich um Auswendig lernen und Anwenden von Wissen geht — schafft es, erfolgreich eine gute Abschlussarbeit zu schreiben.

Im Laufe der letzten Jahre haben meine Mitarbeiter und ich vermutlich an die hundert Abschlussarbeiten irischer, deutscher und ausländischer Studenten betreut. Wir haben das Glück, dass mehr Studenten bei uns eine Abschlussarbeit schreiben möchten als wir betreuen können. Das heißt, wir haben den Luxus, uns die besten Studenten von den ‘Bewerbern’ aussuchen zu können. Meist kennen wir die Studenten bereits aus den Vorlesungen, Übungen und Seminaren und betreuen die, die am vielversprechendsten sind.

Leider kann ich nicht mit einem großen quantitativen Vergleich dienen, sondern nur eine qualitative Einschätzung vornehmen. Mein Eindruck ist, dass deutsche und irische Studenten, gerade bei Abschlussarbeiten, indischen Studenten tendenziell überlegen sind.

Da wir uns die Studenten aussuchen können, sind die meisten der Abschlussarbeiten letztlich gut oder sogar sehr gut, unabhängig von der Nationalität. In einem der vergangenen Jahren betreuten wir beispielsweise 10 Abschlussarbeiten, 9 davon waren so gut, dass sie veröffentlicht wurden — 5 von indischen , 4 von irischen Studenten. In absoluten Zahlen gab es mehr gute indische als gute irische Arbeiten. Aber hier muss berücksichtigt werden, dass es auch mehr indische als irische Studenten in der Vorlesung gab, und wir bei indischen Bewerbern für Abschlussarbeiten stärker ausfiltern als bei den irischen bzw. bei den deutschen Studenten. Von den also ohnehin 10-20% der besten indischen Bewerber auf einen Studienplatz, filtern wir wieder weiter die besten Studenten aus. Diese sind dann in etwa ähnlich gut wie die irischen/deutschen Studenten bei denen wir relativ gesehen mehr Bewerber annehmen.

In Tendenz stelle ich außerdem fest, dass deutsche (und irische) Studenten selbstständiger arbeiten als indische Studenten. Das ist auch im obigen Beispiel sichtbar. Bei den 5 indischen Studenten deren Abschlussarbeit veröffentlicht wurde, habe ich die Themen gestellt, und eine insgesamt doch recht intensive Betreuung vorgenommen. Bei den 4 irischen Studenten deren Abschlussarbeiten veröffentlicht wurden, hatte ein Student selbst ein Thema vorgeschlagen, und auch die anderen drei haben selbstständiger gearbeitet. Über die gesamten Jahren als Professor habe ich vielleicht 8-12 Arbeiten betreut dessen Thema von Studenten selbst vorgeschlagen wurden — nahezu alle diese Arbeiten kamen von deutschen bzw. irischen Studenten.

Plagiatsbeispiel in der Wissenschaft: Unbegreiflich

Das Plagiatsproblem hört leider nicht auf, wenn die Studenten die Universität verlassen. Ein schon fast unglaubliches Beispiel sind Prof. Vipul Vekariya und Prof. Gautam R. Kulkarni, aus Indien. Diese Professoren haben im Jahr 2012 den Artikel “Hybrid recommender systems: Survey and experiments” veröffentlicht, auf der indischen Konferenz IEEE International Conference on Communication Systems and Network Technologies. Auffällig war, dass ein Artikel mit diesem Titel schon 10 Jahre zuvor, 2002, veröffentlicht wurde, und zwar von Prof. Robin Burke. Und nicht nur der Titel war identisch:

Prof. Vekariya und Prof. Kulkarni haben Prof. Burkes gesamten Artikel 1:1 kopiert und unter eigenem Namen veröffentlicht (und nicht nur den einen Artikel, sondern auch noch weitere). Ich muss dazu anmerken, dass der Originalartikel von Burke nicht irgendein Artikel war. Er war schon 2012 eine Art Standardwerk im Bereich von Empfehlungsdiensten (heute hat er 6,000+ Zitationen). Für jeden Menschen mit gesundem Menschenverstand hätte es völlig offensichtlich sein müssen, dass dieses Plagiat auffliegt. Trotzdem haben Prof. Vekariya & Prof. Kulkarni den Artikel plagiiert und bis zum Jahr 2020 in ihren Publikationslisten aufgeführt.

Prof. Vekariya hatte sogar die Artikel in seinem Google Scholar Profil gelistet und dort im Titel die “Notice of Violation of IEEE Publication Principles” nicht entfernt.

Prof. Kulkarni war sich vermutlich bewusst, dass IEEE sein Plagiat nach einigen Jahren entdeckt hatte. Er passte sein Google Scholar Profil so an, dass der Warnhinweis von IEEE im Titel verschwand. Mittlerweile haben allerdings beide die Plagiate von ihren Google Scholar Profilen entfernt.

Dies ist natürlich nur ein einziges Beispiel, und man könnte an einen Einzelfall glauben. Aber es wäre schon ein unglaublicher Zufall, wenn es ausgerechnet in meinem Forschungsbereich sich so ein Einzelfall abspielt, und es in anderen Forschungsbereichen keine indischen Professoren gäbe, die ganze Arbeiten 1:1 kopieren und unter eigenem Namen veröffentlichen. Außerdem zeigen auch zahlreiche Studien, dass Plagiate und anderes wissenschaftliches Fehlverhalten in Indien deutlich häufiger vorkommt als in Deutschland; diese Studie spricht von fast 10 Mal sovielen Arbeiten die in Indien zurückgezogen werden wegen Plagiaten, gefälschten Daten etc. im Vergleich zu Deutschland.

Erhöhter Verwaltungsaufwand

Abgesehen von den möglichen Leistungsunterschieden, gerade bzgl. Plagiaten und selbständigem Arbeiten, gibt es einige weitere Punkte zu beachten. So ist der Verwaltungsaufwand bei indischen, bzw. generell bei ausländischen Studenten, deutlich höher als bei deutschen Studenten. Alleine der Auswahlprozess der Studenten erzeugt jedes Jahr viele Dutzend Stunden Arbeit bei den Professoren und schätzungsweise über hundert Stunden Arbeit bei einer Sekretariatskraft. Das ist Zeit, die sonst für die Lehrvorbereitung, Studentenbetreuung, Forschung oder das Einwerben von Drittmitteln verwendet würde. Die ausländischen Studenten erfordern auch allgemein mehr Betreuung, da sie öfters Fragen zu administrativen Abläufen haben (Prüfungsanmeldung; Wiederholungen; …). Auch die Übersetzung und Pflege wichtiger Dokumente (Modulbeschreibungen; Prüfungsordnungen; …) erzeugt viel Arbeit und ist fehleranfällig. Wegen Visaproblemen kommen jedes Jahr einige ausländische Studenten verspätet in Deutschland an und verpassen die ersten Vorlesungen, was dann wieder Probleme mit Anmeldefristen etc. mit sich bringt. Die Beteiligung der ausländischen Studenten an Gremientätigkeiten ist ebenfalls verschwindend gering (Fachschaftsrat; Fakultätsrat; Berufungskommissionen; …).

All diese Punkte sind nicht die “Schuld” der ausländischen Studenten, oder ausländischer Bildungssysteme. Es ist absolut nachvollziehbar, dass ein Ausländer, der in Deutschland ankommt, andere Dinge im Kopf hat als sich im Fachschaftsrat zu engagieren. Und natürlich muss eine Universität, die international sichtbar sein möchte, ihre wichtigen Dokumente ins Englische übersetzen. Aber leider scheinen sich weder Politik noch Universitätsleitungen darüber im Klaren zu sein, dass all dies Zeit kostet. Politik und Universitäten freuen sich über steigende Studentenzahlen aus dem Ausland, versuchen attraktiver für ausländische Studenten zu werden, aber stellen keine Resourcen für den zusätzlichen Aufwand bereit. Stattdessen bleibt die Arbeit an den Lehrstühlen hängen was dann zu Lasten der Lehre und Forschung geht. Hier ist es mehr als überfällig, dass die Universitäten bzw. Fakultäten besser ausgestattet werden mit Personal, das sich um die zusätzliche Arbeit kümmert.

Internationalität und Integration — oder Segregation?

Universitäten, und auch Unternehmen, brüsten sich gerne mit ihrer hohen Internationalität. Und in der Tat kann Internationalität eine große Bereicherung sein. Ich denke dabei an mein eigenes Projektmanagement-Studium an der Lancaster University in Großbritannien. Dort waren ca. 80% der Studenten Ausländer; viele aus Nicht-EU Staaten wie China, Nordamerika, und Afrika aber auch aus der EU (Anekdote am Rande: Die einzigen zwei indischen Studenten des Kurses verließen den Kurs nach wenigen Wochen; sie kamen mit den Projektarbeiten nicht klar, die ein sehr selbständiges Arbeiten erforderten). Die Integration dort klappte gut, die Gruppen waren oftmals gemischt und die Internationalität war eine echte Bereicherung. Dies war vor allem auf die Gestaltung der Lehre und des Umfelds zurückzuführen. Wir waren lediglich 30 Studenten in dem Masterprogramm, besuchten alle Vorlesungen zusammen, die meisten Arbeiten wurden als Gruppenarbeiten durchgeführt, und es gab wenig Frontalunterricht. Die meisten Studenten lebten außerdem im Wohnheim zusammen.

An der Universität Siegen — und soweit ich weiß an fast allen deutschen Universitäten ebenso wie am Trinity College Dublin — sieht dies anders aus. Hier mischen sich deutsche und ausländische Studenten kaum. Egal ob Vorlesungen, in Pausen, in der Mensa, oder wenn Studenten sich selbstständig zu Gruppen zusammenfinden, es scheint immer überwiegend deutsche und indische/ausländische Gruppen zu geben die getrennt vor sich hinstudieren. Zudem leben die meisten deutschen Studenten zu Hause bei Mama und Papa oder in der WG und viele der ausländischen Studenten in den Wohnheimen. Das ist keine Internationalität oder Integration, das ist Segregation.

Ich weiß leider auch nicht was die Lösung wäre; vielleicht kleinere Studiengänge wie bei meinem Projektmanagementstudium (30 statt 300 Studenten in einer Vorlesung)? Andere Lehrformate? …? Egal was die Lösung wäre, es würde Zeit und Geld kosten dies umzusetzen. Und vor allem müsste sich mal jemand aufraffen und nach einer Lösung suchen (was auch wieder Zeit kosten würde). Nur leider ist es so, dass die Politik und Universitätsleitungen dies nicht tun. Eher verläuft es nach dem Motto “Wir Die Lehrstühle schaffen das” — ein echtes Konzept fehlt, genauso wie die Bereitschaft notwendige Ausgaben zur Umsetzung zu finanzieren.

Zusammenfassung

Der Fachkräftemangel ist eines der größten Probleme das Deutschland aktuell hat. Zweifelsohne gibt es hervorragend ausgebildete Inder und Menschen anderer Nationalitäten die eine Bereicherung für Deutschlands Arbeitswelt und Universitäten darstellen, und für die deutsche Gesellschaft insgesamt. Einige meiner besten Studenten kommen aus Indien, genauso wie einige meiner meistgeschätzten Kollegen.

Doch wenn man sich die Fakten anschaut, dann spricht vieles dafür, dass die schulische und universitäre Ausbildung in Indien im Durchschnitt deutlich schlechter ist als in Deutschland. PISA, Uni-Rankings, und die Leistungen der Studenten in meinen Auswahlgesprächen und bei Abschlussarbeiten sprechen dafür. Selbst wenn man von vergleichbaren fachlichen Leistungen ausgeht, zum Beispiel im Bereich Maschinelles Lernen, bleiben viele Probleme. Da sind zum einen die Probleme die sich relativ einfach mit mehr Geld/Personal lösen ließen wie der erhöhte administrative Aufwand. Die Herausforderungen bei Integration und Partizipation indischer Studenten (und Fachkräfte?) sind schon schwieriger zu lösen aber sicherlich nicht unlösbar — wenn sich denn jemand die Arbeit machen würde um nach einer Lösung zu suchen, und diese dann auch ggf. finanzieren würde. Problematisch ist aber die tendenziell geringere Fähigkeit der indischen Studenten selbstständig zu arbeiten und Probleme zu analysieren (und zu lösen). Denn diese Eigentschaften sind es, die Deutschland ganz besonders braucht, und die indische Studenten oder Fachkräfte nicht mal eben in einem Wochenendkurs lernen können.

Was Deutschland defintiv nicht braucht sind Studenten und ‘Fachkräfte’ die auf die dümmstmögliche Art und Weise plagiieren und betrügen. Doch gerade davon gibt es leider erschreckend viele unter den indischen Studenten. Diese Studenten plaggieren und betrügen auf einem ‘Niveau’, was mir unbegreiflich ist. Nun mag man argumentieren, dass sich diese Studenten in Deutschland in guter Gesellschaft befinden, wenn man sich anschaut wie sich so manche deutsche Politiker oder VW Vorstände verhalten. Trotzdem würde ich es bevorzugen, wenn diese Studenten nicht die kommenden Entwickler von selbstfahrenden Autos in Deutschland sind, von kritischer IT Infrastruktur oder Anwendungen künstlicher Intelligenz im Medizinbereich.

Das Verhalten dieser Studenten, und auch die relativ große Zahl, ist sicherlich kein Grund, generell gegen Zuwanderung von indischen Fachkräften zu sein; oder indische Studenten an deutschen Universitäten generell abzulehnen. Aber es zeigt, wie wichtig gute Auswahlprozesse sind. Wenn Deutschland sicherstellen will, dass hervorgagend ausgebildete Studenten und Fachkräfte nach Deutschland kommen, dann reicht es nicht, einfach auf das Abschlusszeugnis eines indischen Studenten zu schauen. Es bedarf umfassender Auswahlprozesse. Denn es gilt eben nicht Student gleich Student und Fachkraft gleich Fachkraft.

Wenn ich dann Sätze lese wie von Hubertus Heil…

Wenn Sie mal an Indien denken und wir zum Beispiel IT-Fachkräfte für Deutschland gewinnen wollen, dann können wir uns Hochnäsigkeit nicht leisten. […] Es kommen Menschen und deshalb sind die herzlich willkommen in Deutschland.

Hubertus Heil (SPD), Deutschlandfunk 29. März 2023
https://www.deutschlandfunk.de/arbeitsminister-hubertus-heil-job-fachkraefte-einwanderungsgesetzt-100.html

… dann ist das eine Ohrfeige für alle Lehrer und Hochschuldozenten die jeden Tag in Deutschland ihr Bestes geben, und denen wir verdanken, dass Deutschland bei PISA eben nicht wie Indien den vorletzten Platz belegt. Sätze wie die von Hubertus Heil zeugen von mangelnder Wertschätzung gegenüber der wichtigsten Ressource die Deutschland hat: Bildung. Ein großer Vorteil des deutschen Bildungssystems ist, dass ein sehr großer Teil der Menschen in Deutschland eine gute oder sogar sehr gute Schulbildung hat (und das auch noch kostenlos); nahezu jeder Universitätsabsolvent sich zu Recht als gut ausgebildet sehen kann, egal auf welcher Universität in Deutschland er war; und deutsche Studenten und Fachkräfte selbstständig arbeiten und Probleme kreativ lösen können. Dies ist in Indien nicht so.

Deshalb denke ich durchaus, dass man zwar nicht hochnäsig aber mit Stolz und Selbstbewusstsein behaupten kann, dass deutsche Hochschulabsolventen und Fachkräfte (noch!) zu den besten der Welt gehören. Damit es so bleibt, muss allerdings zukünftig viel getan werden. Mehr jedenfalls als hole Phrasen zu dreschen wie “Es kommen Menschen und deshalb sind die herzlich willkommen in Deutschland”.


Joeran Beel

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